Ich hab’ ja schon sehr lange keinen Block-Beitrag mehr geschrieben. Das hat mehrere Gründe, unter anderem, weil ich mich vor 1382 Tagen dazu entschieden habe Corona auch etwas Positives abzugewinnen und in dem Zuge lieber jeden Tag ein Bild bei Insta zu posten, als Texte zu schreiben, die ohnehin kein Mensch liest. Doch hin und wieder überkommt es mich und ich denke mir, vielleicht sollte ich meine Gedanken doch mal wieder zu Papier oder/und ins Netz bringen, so auch heute.

Daher nutze ich die ohnehin schon melancholische Fahrt zurück aus Bremen nach Stuttgart, in der Hoffnung, dass ich zum einen nicht wieder wie gestern knappe elf Stunden benötige und zum anderen, um mich mitzuteilen. Natürlich ist insgeheim auch der Wunsch da, dass meine geistigen Ergüsse die Leserschaft, auch ohne explizite Werbung, erreichen und im Idealfall sogar mal ein Feedback kommt, aber das ist leider sehr rar geworden. Wie sagt mein Vater immer, “schraub’ deine Erwartungshaltung runter, dann wirst du auch nicht enttäuscht”. Aber das ist nicht nur leichter gesagt als getan, sondern der Wunsch nach Anerkennung ist vermutlich sehr fest in mir/uns verwurzelt. Damit meine ich jetzt nicht den Fame, wie er heutzutage, zum Beispiel bei Reality-Shows zelebriert wird, leider üblich ist, sondern vielmehr der Wunsch gesehen und im besten Fall sogar geliebt zu werden. Doch ich sehe schon, ich schweife mal wieder ab, manches ändert sich einfach nicht, aber so war das eigentlich gar nicht gedacht, sorry.

Also, zurück zum Thema, der Grund bzw. das Erlebnis, das mich dazu bringt ENDLICH mal wieder in die Tasten zu hauen (eher intensiv zu streicheln) und mich mitzuteilen. Apropos “teilen”, ich bin sehr froh, dass ich momentan mit meinem (in)direkten Umfeld sooooo viel teilen kann, im Besonderen die politische Haltung, weil dieses Land nicht nur in puncto Umwelt, sondern leider auch menschlich und kulturell vor die Hunde geht. Danke dafür, dass WIR MEHR SIND! <3 Und trotz dieses Nebensatzes, sind wir damit nicht nur mehr, sondern auch direkt beim Thema > Menschlichkeit.

Denn Folgendes trug sich heute so gegen 12:00 Uhr zu. Ich warte am Bahnhof in Bremen auf meinen Zug. So, das war’s, coole Geschichte, oder? Ne, Spaß, das war natürlich nicht besagtes Schlüsselerlebnis. Vielmehr habe ich mich nach draußen begeben, weil ich in Bahnhöfen eher der Misanthrop bin, die Enge meide und fast immer versuche mich irgendwo in ein ruhiges Eck zu begeben, im Idealfall nach draußen, so auch heute.

Ich stehe also auf dem Bahnhofsvorplatz in Bremen, allerdings nicht vorne Richtung City, sondern auf der anderen Seite, auf der deutlich weniger los ist. Nachdem ich dort fast 20 Minuten stehe, kommt ein junger Mann auf mich zu, hält mir sein Handy entgegen und versucht mit Gestik, Mimik und sehr gebrochenem Deutsch mir klar zu machen, dass sein Handy leer ist, er unbedingt einen Freund anrufen muss und er von mir gerne wissen würde, ob ich ein Ladekabel dabei habe. Freudig seine optimistische und vielleicht etwas naive Erwartungshaltung erfüllen zu können, plappere ich direkt auf ihn ein. Sichi, ich kann dir helfen mein Freund, jeden Tag eine gute Tat und so. #propsgehenrausandiepfadfinder

Ich frage ihn erst auf deutsch und als er mir sagt, dass er dieser Sprache nicht wirklich mächtig sei und aus Albanien kommt, direkt in fluently spoken english geswitched (es lebe der Brainwash im internationalen Projektsteuerer-Geschäft), dass ich zwar ein Kabel habe, aber wie er es damit laden will. Ich sehe seinen enttäuschten Blick. Mein geschultes BIM-Geek-Auge checkt daraufhin sofort den benötigten Anschluss. Was brauchst du, Brudi? Ich hab’ alles dabei USB-C, Mini-USB und sogar Lightning für die Apfelfreunde. Sag mir und ich geb’ dir korrekt, ich schwör’. Während er noch versucht zu überlegen, was er mit der bis dato erhaltenen Information anfangen könne, zaubere ich in völliger Selbstverständlichkeit neben dem richtigen Kabel auch die passende Powerbank, wie ein mit Glitzer überschüttetes Kaninchen, aus dem imaginären Zylinder. Er staunt nicht schlecht und denkt vermutlich nicht wie ich gerade an Lefty aus der Sesamstraße, der immer die Buchstaben in seinem Trenchcoat mit sich trögt. Auch ohne vieler Worte, sehe ich die Erleichterung in seinem Blick.

Wir stöpseln also sein völlig runtergerocktes iPhone, das sich keinerlei Schutzhülle erfreut und daher erheblich vermackt ist, an das Kabel und die Powerbank. Mir wird nicht nur dadurch schon warm ums Herz, sondern ich bekomme auch eine Zigarette angeboten. Als ich seine Frage “do you smoke?” freundlich aber bestimmt verneine, ist er zunächst so beschämt, dass er sich gar nicht traut seinen Glimmstengel zu entzünden, ein feiner Kerl, der mir da Hilfe suchend gegenüber steht. Doch ich gebe ihm zu verstehen, dass er ruhig sein Lunge weiter mit Teer vollpumpen darf und ich auch nichts seiner Mutter verraten werde, so oder so ähnlich. *haha

Wie dem auch sei, nach kurzer Zeit erscheint das Laden-Logo auf seinem Display und jetzt kann es sich nur noch um kurze Zeit handeln, bis er wieder in den Genuss kommt eine der wichtigsten, aber in die Jahre gekommene, Grundfunktionen der mobilen Digitalisierung zu nutzen, Telefonieren. Herr Bell wäre so stolz auf uns gewesen, das wir sein Anlitz, auch in diesen Zeiten, erhellen und ihm durch diesen Akt der Liebe irgendwie huldigen. (Anm. der Redaktion, ich muss weniger Grünkohl essen, das Zeug kickt übel)

Nachdem der Prozess jedoch länger als erwartet dauert, biete ich ihm an, dass er gerne auch mit meinem Handy telefonieren dürfe, wenn ihm die begehrte Nummer denn bekannt sei. Doch dem scheint nicht so zu sein. Daher bleiben wir wartend nebeneinander stehen und schweigen uns nicht nur verbal, sondern auch mit Blicken an. In der Zwischenzeit kommen komische Gefühle in mir auf und ich merke nicht nur insgeheim, dass sich eine Art Unwohlsein breit macht, sondern ich auch anfange zu überlegen, was hier gerade alles passieren könnte und, ob meine Hilfsbereitschaft gepaart mit einer ordentlichen Portion Naivität mir erneut zum Verhängnis werden können. Ich merke wie ich meine Powerbank fester halte und die Situation genauer scanne, um irgendwelche Auffälligkeit (besser) zu registrieren und darauf dementsprechend reagieren zu können. Mir ist es extrem unangenehm, ich schäme mich für die Gedanken, werde mir dessen bewusst, dass das auch eine Art von latentem Rassismus ist und ich hoffe, dass mir der hilfsbedürftige Kerl das alles nicht anmerkt.

Da kommt der erlösende Moment und sein Handy geht an. Seine erste Frage ist, ob es hier “free WIFI” gibt. Gemeinsam checken wir die vorhandenen Netze im Umfeld. Schon da spiele ich mit dem Gedanken, ihm mein Handy als persönlichen Hotspot zur Verfügung zu stellen, aber noch beobachte ich die Situation weiter. Wir finden ein freies Netz vom Marriot-Hotel, aber dort kann er sich natürlich nicht anmelden. Dann kommt er selbst auf die Idee, ob ich ihm vielleicht einen Hotspot einrichten könne. Bereitwillig schiebe in den virtuellen Regler von links nach rechts und sehe es auch ein stückweit als Wiedergutmachung für mein vermutlich völlig unangebrachtes Misstrauen. Er gibt mein Passwort falsch ein, woraufhin ich ihm anbiete das für ihn uns seine zittrigen Finger zu übernehmen. In der Zwischenzeit überlege ich schon was der arme Kerl wohl nach unserem Treffen macht und, ob ich nicht auch auf meine Powerbank verzichten könnte, schließlich ist das bei mir eine von dreien und ihm würde das in der aktuellen Situation extrem weiterhelfen.

Er dattelt wild auf seinem Handy rum und ich bin verdutzt, dass er nicht direkt seinen Kontakt anruft, jetzt wo er die Möglichkeit dazu hat. Nach ca. einer Minute wundere ich mich warum er, wenn er doch jetzt endlich wieder ein mehr oder minder intaktes Smartphone in der Hand hält, nicht sparsamer mit der vorhandenen Energie umgeht, sondern stattdessen WLAN einschaltet und im Netz rumsurft. Ich schiebe es auf die Unvernunft der Jugend und erinnere mich an die Zeiten nach dem Krieg zurück. Die Zeiten als wir mit Dosentelefonen ein R-Gespräch von Stuttgart nach Friedrichshafen eingeleitet haben. Unfassebar, dass sich die ganzen Kabel damals nicht häufiger verhedert haben. Wo kamen überhaupt die ganzen Dosen her und wer kam auf die geniale Idee sie später durch Joghurtbecher zu ersetzen? Fragen über Fragen. Erneut merke ich, wie mir mulmig wird und Skepsis in mir aufsteigt. Ich überlege, ob er mit speziellen Apps auf seinem Handy und einer direkten Verbindung zu meinem Handy diverse Daten, Passwörter etc. abgreifen, missbrauchen und damit gezielt gegen mich verwenden könnte.

Doch gerade als sich meine negativen Gedanken erneut versuchen deren Weg in meine Kleinhirnrinde zu bahnen (Anm. der Redaktion, ich entschuldige mich hiermit für das vermehrt aufkommende Zug-Vokabular, ich bekomme keine Provision dafür und bin mir auch gar nicht sicher, ob ich proaktiv Werbung für dieses entgleiste Unternehmen machen möchte, Mist schon wieder), kommt der erlösende Moment.

Er erreicht seinen Kontakt per Whatsapp-Videocall. Ich sehe sein gegenüber samt Familie im Hintergrund und die beiden unterhalten sich. Er versucht seiner Kontaktperson per Videoaufnahme zu zeigen wo er sich befindet und bittet ihn, vermutlich auf albanisch, dass er ihn bitte genau da abholen soll. All sein Gegenüber ihm die erhoffte Hilfe zusichert, bedankt er sich mit einem Faustklopfen auf sein Herz, legt auf, schaut mich an, bedankt sich offen und aufrichtig und ist glückselig, ebenso ich.

Ich packe mein Zeug, trenne den Hotspot und freue mich, mit einem Tränchen im Auge, dass ich auf mein Herz gehört habe, erneut über meinen Schatten gesprungen bin und damit einmal mehr die alltäglichen dunklen Gedanken in deren Schranken verwiesen habe. In dem Sinne, hört auf euer Herz. Auch wenn ihr manchmal enttäuscht werdet und das Narben hinterlässt, AM ENDE SIEGT DIE LIEBE!

HDGDL, eure ma.de

One thought on “Hör’ auf dein Herz…

  1. Moin Holzma.de,

    schöne Geschichte. Ich durfte gestern auch schöne Momente erleben, als ich mit meiner Mittleren bei den Württembergischen Meisterschaften der Leichtathletik in Ulm war. Jugendliche aller Farben, vereint im Wettkampf, die sich selbst nach schlechten eigenen Leistungen gegenseitig aufgemuntert haben und miteinander über neue Bestleistungen gefreut haben. Ob man sich vorher gekannt hat oder nicht, sie lagen sich am Ende in den Armen und haben miteinander gefeiert. Das macht Mut und gibt Hoffnung.
    LG Dome

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